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Sport: Mett trifft Börek

Istanbuler boxen gegen Berliner – aus Kämpfen zur Integration wird eine türkische Familienfeier.

Berlin - Immer wieder beugt sich der Ringrichter mit strenger Miene hinunter und ermahnt Ilyas Ilter, ruhig zu bleiben. Der türkische Trainer ist mit elf hoffnungsvollen Nachwuchsboxern aus Istanbul eingeflogen und will nur mit einem Sieg heimreisen. Ilter ruft, rüttelt, rast, gibt seinen Jungs wild gestikulierend Anweisungen. Er ist ein aktiver Trainer.

Es ist der Abend des „Länderkampfs“, wie ihn die Veranstalter bezeichnen. Elf junge Boxer aus Istanbul sind zu Besuch und messen sich mit dem Berliner Nachwuchs im Ring. Einige Hundert Besucher sind nach Schöneberg gekommen, die meisten sind Türken, die wenigsten Frauen. Die Sporthalle wurde Mitte der 1950er Jahre im Zuge der Systemkonkurrenz zum Osten erbaut. Das letzte Event von überregionaler Bedeutung war jedoch die deutsche Meisterschaft im Handball der Frauen, 1964. Viel verändert hat sich in der Halle seither nicht. Tribünen mit Holzbänken, eine halbautomatische Anzeigentafel, grün und braun sind die Wände und der Boden. Ein Farbschick aus vergangenen Zeiten.

Vor dem Beginn der ersten Runde staut es sich im Eingangsbereich. Der Mann von der Security ist breit wie hoch und kommt ins Schwitzen: Nicht jeder Besucher hat schon sein Bändchen, das ihm den Einlass in die Halle gewährt. Der Security-Mann springt in den Sprachen, mal türkisch, mal deutsch. Um ihn herum wird Fassbier ausgeschenkt, werden Mettbrötchen und Bockwurst verkauft – und Börek. Eine integrative Essensauswahl.

Ilyas Ilter, braun gebrannt, im Trainingsanzug und mit Schnäuzer, hat 36 Jahre in Berlin gelebt, ist mehrfacher Berliner Landesmeister und sortierte einst Briefe bei der Deutschen Post. In Istanbul gründete er vor einigen Jahren einen Boxverein, die Initiative für den Länderkampf ging mit von ihm aus. Nun wuselt er sich durch die Gäste im Innenraum, drückt hier eine Hand, umarmt dort, er scheint hier jeden zu kennen. „Für mich ist es besonders schön, sehr viele Verwandte und Bekannte sind gekommen.“ Der Länderkampf ist eine kleine türkische Familienfeier mit Umarmungen und Küssen.

Dabei haben sich die Veranstalter alle Mühe gegeben, dem freundschaftlichen Wettkampf ausreichend Bedeutung beizumessen. Die Fahnen der Teilnehmerländer sind gehisst. Nach den Nationalhymnen tauschen die Boxer Wimpel, anschließend tänzelt die Cheerleader-Truppe „Beasty Boxing Girls“ um den Ansager, während dieser im silberfunkelnden Pailletten-Frack von einer „Wonderful World“ singt. Klatschpappen klatschen. Das ganze Programm eben.

„Der Boxsport ist ein Integrationsmotor“, sagt Peter Miesner, Präsident des Berliner Boxsport-Verbandes. Es ist kein offizielles Turnier, sondern soll den Beginn einer engen Kooperation markieren. Gemeinsame Trainingslager, regelmäßige Kämpfe in Istanbul oder Berlin. Das ist der Plan.

Mit den ersten Kämpfen des Highlights fließt das erste Blut aus den Nasen der Boxenden. Drei mal drei Minuten dauern die elf Fights, und auch wenn die Unterstützung der Zuschauer nur von Einzelnen ausgeht: Diese sorgen mit türkischen Gesängen und Anfeuerungsrufen für Stimmung. Am Ende nehmen alle Boxer Medaillen und die Erfahrung mit nach Hause, wie es sich anfühlt, vor etwa 700 Zuschauern zu boxen. 6:5 siegte das Team aus Istanbul, freundschaftlich einigte man sich auf ein Unentschieden.

Ganz zufrieden ist Trainer Ilter dennoch nicht. Er bemängelt die Entscheidungen der Punktrichter und hätte sich auch den Empfang der Berliner Box-Delegation etwas überschwänglicher vorgestellt. Kurzfristig wurden zudem Boxer ausgetauscht und zum Wiegen sind die Berliner nicht erschienen. „Wir werden ihnen in der Türkei zeigen, was richtige Gastfreundschaft ist“, sagt Ilter und grinst. Nicolas Diekmann

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